Anrede,

(Herr Dr. Gossel,

Frau Wiedenroth,

ggf. die schulpolitischen Sprecher der Fraktionen im Nieder-sächsischen Landtag)

für Ihre Einladung zur heutigen Jahresversammlung möchte ich mich auch im Namen von Frau Ministerin Heiligenstadt herzlich bedanken. Sie kann heute leider wegen anderer dienstlicher Verpflichtungen nicht teilnehmen und hat mich gebeten, sie zu vertreten.

Zuerst möchte ich mich herzlich bei Ihnen allen für Ihr Engagement bedanken. Wenn wir Kinder und Jugendliche gemeinsam gut fördern wollen, brauchen wir engagierte Eltern. Das gilt sowohl für die Elternräte der einzelnen Schulen, der Kreise und des Landes, als auch für Sie als Verband. Ihre Impulse tragen dazu bei, die Elternperspektive in der bildungspolitischen Debatte zu stärken, Argumente zu schärfen und zu guten Entscheidungen zu kommen.

Auch in diesem Jahr will ich gern die Gelegenheit nutzen, Ihnen die bildungspolitischen Maßnahmen der Landesregierung vorzustellen. Ich tue das insbesondere deshalb gern, weil in diesem Jahr mit der vom Niedersächsischen Landtag beschlossenen Schulgesetznovelle richtungsweisende Entscheidungen getroffen wurden, die die niedersächsische Bildungslandschaft stärken und weiterentwickeln.

Anrede,

am 03.06.2015 hat der Niedersächsische Landtag das Gesetz zur Änderung des Niedersächsischen Schulgesetzes verabschiedet. Damit wurden wichtige bildungspolitische Ziele der Landes-regierung umgesetzt, die in der Koalitionsvereinbarung zwischen SPD und Bündnis 90/Die Grünen für die 17. Wahlperiode des Niedersächsischen Landtags festgelegt worden sind.

Das Niedersächsische Schulgesetz

Das Gesetz zur Änderung des Niedersächsischen Schulgesetzes ist zum 1. August 2015 in Kraft getreten. Lassen Sie mich zunächst die wichtigsten Neuregelungen erläutern, insbesondere mit Blick auf die Aspekte, die das Gymnasium betreffen.

  1. Die Schulzeit am Gymnasium

Die für das Gymnasium wichtigste Entscheidung ist zweifellos die Abschaffung des sog. „Turbo-Abiturs“ nach acht Schuljahren. Mit der Schulgesetznovelle hat Niedersachsen sich entschieden, zum neunjährigen Bildungsgang an Gymnasien, an den nach Schulzweigen gegliederten Gesamtschulen mit gymnasialer Oberstufe und an Oberschulen mit gymnasialem Angebot zurückzukehren.

Getragen von einer großen Mehrheit der an der bildungspolitischen Diskussion Beteiligten wurde damit eine langjährige Debatte zum Abschluss gebracht, die das „G 8“ seit seiner Einführung begleitet hatte. Verdichtete Lernzeit, umfangreiche Curricula, hohe Schülerpflichtstundenzahlen im Sekundarbereich I sowie starke Fach- und Klausur-belastungen wurden regelmäßig beklagt. Darüber hinaus problematisierten Stimmen aus den Hochschulen und der Wirtschaft die mangelnde Reife von Abiturientinnen und Abiturienten.

Die niedersächsische Landesregierung hat deshalb schon kurz nach ihrem Amtsantritt einen breit angelegten Diskurs über die Dauer der Schulzeit bis zum Abitur initiiert, der zu der Entscheidung führte, mit dem Beginn des Schuljahres 2015/2016 zum Abitur nach neun Jahren zurückzukehren. Einbezogen werden die Jahrgänge 5, 6, 7 und 8.

Der erste Schuljahrgang wird dann im Schuljahr 2020/21 sein Abitur nach neun Jahren ablegen können.

2)     Grundschule und Überweisungsentscheidungen

Das neue Schulgesetz regelt, dass die bisherige Schullaufbahnempfehlung am Ende des 4. Schuljahrgangs entfällt. Dadurch wird der nicht kindgerechte Leistungsdruck im Primarbereich abgeschafft, die Grundschulen werden entlastet und die sozial-selektive Wirkung der Empfehlung wird beendet. Stattdessen ist jetzt geregelt, dass die Schulen den Erziehungs-berechtigten zwei Beratungsgespräche im vierten Schuljahrgang anbieten. Mit diesen Gesprächen soll erreicht werden, dass die Erziehungsberechtigten optimal vorbereitet werden, selbstständig und verantwortungsvoll darüber zu entscheiden, welche weiterführende Schule ihr Kind besuchen soll.

Durch den Wegfall der Schullaufbahnempfehlung fällt auch ihre rechtliche Bedeutung bei Überweisungsentscheidungen am Ende des 6. Schuljahrgangs weg.

Die zweimalige Wiederholung desselben Schuljahrgangs nacheinander oder die Nichtversetzung in zwei aufeinander folgenden Schuljahrgängen führt zudem nicht mehr regelmäßig zu einer Überweisung an eine andere Schule einer geeigneten Schulform; vielmehr wird in diesen Fällen die pädagogische Kompetenz der Schule durch das Eröffnen eines breiten Ermessenspielraums gestärkt. Damit wird das sog. „Sitzenbleiben“ also nicht abgeschafft. Vielmehr wird die pädagogische Kompetenz der Klassenkonferenz gestärkt, da jeder Einzelfall unter Abwägung aller versetzungsrelevanten Aspekte zu entscheiden ist.

3)     Gesamtschulen als „ersetzende Schulform“

Im Rahmen der Regelungen schulorganisatorischer Maßnahmen wurden die Voraussetzungen zum Führen der Gesamtschule rechtlich an die der Oberschule als weitere ersetzende Schulform angeglichen. Schulträger, die eine Gesamtschule führen, sind künftig – wie bei Oberschulen – von der Pflicht befreit, Haupt- und Realschulen zu führen. Von der Pflicht Gymnasien zu führen ist der Schulträger jedoch nur befreit, wenn der Besuch eines Gymnasiums unter zumutbaren Bedingungen gewährleistet ist.

Soweit dies den Besuch eines Gymnasiums außerhalb des Gebiets des Landkreises oder der kreisfreien Stadt voraussetzt, tritt die Befreiung nur ein, wenn der Schulträger darüber mit dem Schulträger des auswärtigen Gymnasiums eine Vereinbarung (gemäß § 104 Satz 2 NSchG) abgeschlossen hat. Mit dieser Regelung ist der auswärtige Schulträger davor geschützt, im Falle der Befreiung gegen seinen Willen und seine Planungen die Gymnasialschülerinnen und Gymnasialschüler eines anderen Schulträgers aufnehmen zu müssen.

Schulträger bleiben weiterhin berechtigt, aber nicht verpflichtet, Gesamtschulen zu errichten.

Außerdem wird ermöglicht, neben Förderschulen, Hauptschulen und Oberschulen ohne gymnasiales Angebot auch Oberschulen mit gymnasialem Angebot sowie Gesamtschulen (IGS und KGS) mit Grundschulen organisatorisch in einer Schule zusammenzufassen.

Gesamtschulen können die Aufnahme von Schülerinnen und Schülern in den Sekundarbereich I künftig nicht mehr beschränken, wenn die Gesamtschule als „ersetzende Schulform“ geführt wird. In diesem Fall müssen die Gesamtschulen alle Schülerinnen und Schüler im Schulträgergebiet aufnehmen.

Ein Aufnahmeanspruch auswärtiger Schülerinnen und Schüler an eine Gesamtschule – ebenso wie bei der Oberschule – besteht (weiterhin) nicht. Durch die Regelung, dass ein Schulträger die Gesamtschule als eine in seinem Gebiet die Schulform Gymnasium „vollersetzende“ Schulform nur führen kann, wenn er mit dem Schulträger des auswärtigen Gymnasiums eine Vereinbarung geschlossen hat, werden die Belange der Schülerinnen und Schüler sowie des Schulträgers des auswärtigen Gymnasiums ausreichend berücksichtigt. Gegen den Willen des auswärtigen Schulträgers kann damit auch kein Schulträger die Gesamtschule als eine in seinem Gebiet das Gymnasium vollersetzende Schulform führen.

Der unter Bestandsschutz stehenden Kooperativen Gesamtschule werden erweiterte Gestaltungsspielräume eröffnet. So kann der Schulvorstand entscheiden, ob in den Schuljahrgängen 5 bis 8 in überwiegend schulzweigübergreifenden Lerngruppen unterrichtet werden soll. Damit erhalten die Kooperativen Gesamtschulen zumindest die Möglichkeiten der inneren Organisation, wie sie auch für Oberschulen vorgesehen sind.

Zudem sind auch die Schulträger der Kooperativen Gesamtschulen wie bei den Integrierten Gesamtschulen von der Pflicht befreit, Schulen des gegliederten Schulwesens zu führen. Wie bereits angesprochen, kehrt auch die nach Schulzweigen gegliederte Kooperative Gesamtschule zu G 9 zurück.

4)     Ganztagsschule

Gute Ganztagsschulen sind der Schlüssel zu mehr Bildungsteilhabe für alle Schülerinnen und Schüler. Sie zu fördern ist daher auch das Herzstück unserer Bildungspolitik. Die Ganztagsschule wird mit dem neuen Schulgesetz nun auch gesetzlich aufgewertet.

Mit der Änderung des § 23 NSchG wird der zunehmenden Nachfrage nach Ganztagsschulen Rechnung getragen. Die Landesregierung investiert im Rahmen der „Zukunftsoffensive Bildung“ bis Ende 2017 rd. 260 Mio. Euro allein in den Ausbau der Ganztagsschule. Damit können die vorhandenen Ganztagsschulen erheblich besser und bedarfsgerechter mit Ressourcen ausgestattet und weitere Ganztagsschulen errichtet werden. Derzeit halten mehr als 1.700 der 2.800 öffentlichen Schulen (rund 60 %) ein Ganztagsangebot vor. 88% der Gymnasien sind Ganztagsschulen, die meisten bieten ein offenes Ganztagsangebot.

Es wird jetzt vor allem darum gehen, mit den erhöhten Ressourcen auch eine qualitative Verbesserung zu erreichen. Der erweiterte pädagogisch-organisatorische Gestaltungsspielraum ermöglicht neue Ganztagskonzeptionen in Form von teilgebundenen bzw. voll gebundenen Ganztagsschulen. Den Schulen ist damit eine anspruchsvolle Entwicklungsaufgabe gestellt. Um sie in dieser Frage zu unterstützen, wurden in diesem Jahr bereits 15 landesweite Fachtage Ganztag durchgeführt. Das Teilnahmeinteresse war groß, die Rückmeldungen zu Inhalt und Qualität fast durchweg positiv.

Für Ganztagsschulen – mit Ausnahme der Oberschulen – wird es weiterhin das Instrument der Aufnahmebeschränkung geben; an diesem Punkt hat die Schulgesetznovelle keine Änderung vorgenommen. Nach wie vor gibt es also keinen Aufnahmeanspruch an eine Ganztagsschule oder an einen Ganztagsschulzug eines anderen Schulträgers, wenn man in einem Schulbezirk ohne Ganztagschulangebot der gewählten Schulform wohnt. Umgekehrt wird jedoch auch aus verfassungs-rechtlichen Gründen gewährleistet, dass der Besuch einer Halbtagsschule oder eines offenen Ganztagsangebots in jedem Fall gewährleistet bleibt.

5)     Schülerbeförderung und Bildungsgänge

Durch das Schulgesetz wird der Umfang der Verpflichtung zur Schülerbeförderung durch die Landkreise und kreisfreien Städte verändert.

Für die Schülerinnen und Schüler bleibt die Beförderung zur nächsten Schule der gewählten Schulform gewährleistet, für besondere Bildungsgänge innerhalb der allgemein bildenden Schulformen wird diese Verpflichtung aber begrenzt. Der unscharfe und von den Verwaltungsgerichten zunehmend weit ausgelegte Begriff des „Bildungsgangs“ ist aus den Regelungen zur Schülerbeförderung gestrichen worden. Stattdessen werden nun die Fälle, in denen Schülerbeförderung gewährt wird, in einer neuen und übersichtlichen Regelungssystematik aufgelistet. Soweit nur außerhalb des Gebiets des Trägers der Schülerbeförderung eine Hauptschule, eine Realschule oder ein Gymnasium unter zumutbaren Bedingungen erreichbar ist oder eine Förderschule besucht wird, besteht weiterhin eine unbeschränkte Beförderungs- oder Erstattungspflicht durch den Träger der Schülerbeförderung.

Das Gesetz stellt klar, dass der Beförderungs- bzw. Erstattungsanspruch auch besteht, wenn einer Kooperativen Gesamtschule zu Gunsten einer Integrierten Gesamtschule bzw. umgekehrt ausgewichen werden soll, bzw. wenn man eine Oberschule mit gymnasialem Angebot besuchen will. Wenn in diesen Fällen die nächste Schule nur außerhalb des Gebiets des Trägers der Schülerbeförderung liegt, kann der Träger der Schülerbeförderung aber wie bisher die Erstattung der Kosten auf die teuerste Zeitkarte des öffentlichen Personennahverkehrs beschränken, die er für die Schülerbeförderung auf seinem Gebiet zu erstatten hätte.

Zusammenfassend will ich zur Schulgesetznovelle feststellen: Mit diesem Schulgesetz wird unser Bildungssystem in Niedersachsen gerechter, moderner und es bietet mehr Chancen und Möglichkeiten für alle. Das gilt für die Schülerinnen und Schüler aller Schulformen.

Die Ausgestaltung des neuen „G 9“

Anrede,

ausgehend von den dargestellten gesetzlichen Änderungen war (und ist) eine Fülle von Änderungen bei den sog. „untergesetzlichen“ Regelungen, also Erlassen und Verordnungen, notwendig. Die Entscheidung für das neue „G 9“ war zu konkretisieren und umzusetzen.

Grundlegendes Ziel der Rückkehr zum „G 9“ ist es, den gymnasialen Bildungsgang unter Beibehaltung des hohen Qualitätsanspruchs des niedersächsischen Abiturs zu entschleunigen und damit die Schülerinnen und Schüler zu entlasten. Das bietet neue Chancen für nachhaltiges Lernen. Die hohe Stundenzahl für die Schülerinnen und Schüler im Sekundarbereich I bildete bekanntermaßen den stärksten Kritikpunkt am achtjährigen Gymnasium. Deshalb galt als wesentliche Vorgabe, dass bei den Stundentafeln im neuen neunjährigen Bildungsgang grundsätzlich im Sekundarbereich I als auch in der neuen eigenständigen Einführungsphase im Schuljahrgang 11 30 Wochenstunden nicht überschritten werden. Für die Qualifikationsphase sind in der Regel 32 Schülerpflichtstunden vorgesehen.

Die wichtigste Voraussetzung für den Beginn der Umstellung bildete die Neubearbeitung des Erlasses ¨Die Arbeit in den Schuljahrgängen 5 bis 10 des Gymnasiums¨. Er wurde parallel zur Novelle des Niedersächsischen Schulgesetzes erarbeitet und ist zum 1.8.2015 in Kraft getreten.

Auch hier will ich Ihnen die Kernpunkte der Ausgestaltung des künftigen gymnasialen Bildungsgangs im Sekundarbereich I vorstellen:

  • Die neu gestaltete Standard-Stundentafel ohne Profilunterricht (jetzt Stundentafel 1) für die Jahrgänge 5 bis 10 sieht grundsätzlich höchstens 30 Schülerpflichtstunden vor. Für Schülerinnen und Schüler bedeutet das weniger Stress durch eine schlankere Stundentafel, nachhaltigeres Lernen durch die längere Lernzeit und die Chance, ein höheres Maß an Reife, Selbst- und Sozialkompetenzen zu entwickeln. Schülerinnen und Schülern mit höherem Förderbedarf bietet die längere Lernzeit mehr Bildungs-chancen, entwicklungsbedingte Leistungsschwankungen lassen sich durch den längeren Lernzeitraum besser ausgleichen. Leistungsstärkeren Schülerinnen und Schülern bieten sich neue Möglichkeiten der Ergänzung und Vertiefung des Gelernten.

Darüber hinaus kann auch die Stundentafel 2 mit 32 Stunden in den Jahrgängen 8 bis 10 gewählt werden. Sie ermöglicht den Schülerinnen und Schülern über verschiedene Profile schon im Sekundarbereich I eine individuelle Schwerpunkt-bildung. Die Gestaltungsmöglichkeiten der Schulen wurden erweitert: Künftig bedarf die Einbeziehung von Informatik in den Profilunterricht keiner Genehmigung mehr, der Unterricht mit besonderem Schwerpunkt in Musik wurde um ein Schuljahr ausgeweitet, das Fach Sport kann ebenfalls Bestandteil des Profilangebots sein.

Die beiden Stundentafeln können alternativ, aber auch parallel genutzt werden. Die Entscheidung wird durch den Schulvorstand (gemäß § 38a NSchG) getroffen, der Schulelternrat ist vorher zu hören. Schulen, die bisher die Profilstundentafel genutzt haben, können dies ohne erneuten Beschluss auch weiterhin tun.

  • Zur Entwicklung eines positiveren Lehr- und Lernklimas an den Gymnasien soll auch beitragen, dass die niedersächsischen Gymnasien zusätzliche Stunden erhalten, um Schülerinnen und Schüler besser zu fördern und die pädagogische Arbeit innerhalb der Klassen zu stärken.

So werden den Schulen pro Jahrgang in den Jahrgängen 5 bis 10 zwei Stunden zusätzlich zur Verfügung gestellt, um das individuelle Überspringen von Schülerinnen und Schülern zu unterstützen oder dahin gehend zu fördern, dass eine Überweisung auf eine andere Schulform vermieden wird. Im Jahrgang 6 ist eine zusätzliche Verfügungsstunde vorgesehen, damit Klassenlehrkräfte mehr Zeit für ihre Klassen haben.

  • Mit der Überprüfung der Kompetenz „Sprechen“ werden die bekannten Formen der Leistungskontrolle erweitert. In den modernen Fremdsprachen findet in den Jahrgängen 5 bis 10 pro Doppelschuljahrgang verbindlich eine Überprüfung statt und ersetzt jeweils eine schriftliche Lernkontrolle. Diese Verpflichtung begründet sich durch den höheren Stellenwert, den die nationalen Bildungsstandards für den Sekundarbereich I der mündlichen Kommunikation einräumen und mit dem besonderen Charakter der „Sprechprüfungen“.
  • Eine weitere wichtige Neuerung: Maßnahmen zur Berufs- und Studienorientierung sind konkretisiert worden und werden fester Bestandteil des gymnasialen Bildungsganges. Dazu gehören zum Beispiel Schülerbetriebspraktika, Betriebserkundungen, Schülerfirmen, Unterricht in Kooperation mit berufsbildenden Schulen und Hochschulen, berufspraktische Projekte und praxisorientierte Lernphasen.

Mit der stärkeren Verankerung der Berufs- und Studienorientierung wird Studienabbrüchen im Vorfeld entgegengewirkt. Niedersachsen möchte aber auch mehr Abiturientinnen und Abiturienten für die duale Ausbildung begeistern – darum wird die Berufsorientierung fester Teil des Gymnasiums. Wir setzen damit als erstes Bundesland eine entsprechende Forderung des Wissenschaftsrates um. Beide Maßnahmen bereiten Schülerinnen und Schüler besser auf das Berufsleben vor und sind innovative und zukunftsweisende Elemente im neuen Abitur nach neun Jahren. An den Gymnasien soll dazu ein fächerübergreifendes Konzept erarbeitet und dabei mit schulischen und außerschulischen Partnern wie berufsbildenden Schulen, Hochschulen, Betrieben, der Berufsberatung der Arbeitsagentur, Kammern und Wirtschaftsverbänden kooperiert werden. Niedersachsen betont auch weiterhin die wichtige Rolle der MINT-Fächer. Die Summe der hier zur Verfügung stehenden Jahreswochenstunden übersteigt die KMK-Vorgaben (16 Stunden) mit 23 Stunden deutlich.

Die Umstellung erforderte auch die Anpassung der Kerncurricula aller Fächer an die verlängerte Schulzeit.

Es ist den Fachkommissionen trotz der knappen Zeit gelungen, zum Beginn des Schuljahres eine große Zahl von weiterentwickelten Kerncurricula vorzulegen. ((Deutsch, Englisch, Mathematik, Geschichte, Erdkunde, Politik-Wirtschaft sowie Naturwissenschaften (Biologie, Chemie, Physik – die weiteren Fächer folgen bis zum Ende des Jahres)). Die Kerncurricula wurden an die neue Schulzeitdauer angepasst, ohne den Fachlernstoff quantitativ auszuweiten. So ist sichergestellt, dass die beabsichtigte zeitliche Entlastung der Schülerinnen und Schüler auch tatsächlich erreicht wird.

Die Regelungen für die gymnasiale Oberstufe werden voraussichtlich zum Beginn des zweiten Schulhalbjahres veröffentlicht. Auch hier will ich einige Hinweise zur beabsichtigten Ausgestaltung geben.

  • Die neue eigenständige Einführungsphase im Schuljahr-gang 11 soll 30 Wochenstunden umfassen. Sie ist Bestandteil der gymnasialen Oberstufe; die Bewertung erfolgt mit dem Punktsystem. Die Berufs- und Studien-orientierung erhält mit der Verpflichtung, eine Wochen-stunde dafür zu verwenden, ein besonderes Gewicht.

Anrede,

Sie wissen, dass die Frage der verpflichtenden Belegung der zweiten Fremdsprache in der Einführungsphase intensiv diskutiert wurde. Grundsätzlich soll, wie im Anhörungsentwurf vorgesehen, die Belegung von zwei Fremdsprachen verbindlich sein. Uns liegt nun ein Vorschlag der Fachebene vor, wonach abweichend davon die Schule durch einen Beschluss des Schulvorstandes entscheiden soll, von der verpflichtenden Belegung einer zweiten Fremdsprache abzusehen und ein Wahlpflichtangebot einzurichten. Auch dann ist die Schule verpflichtet, die zweite Fremdsprache anzubieten. Damit wäre gewährleistet, dass für alle Schülerinnen und Schüler, die sich ggf. für den sprachlichen Schwerpunkt in der Qualifikationsphase entscheiden wollen, ein entsprechendes Angebot vor Ort besteht. Hierzu wird es in aller Kürze eine Leitungsentscheidung geben.

Die Umstellung des gymnasialen Bildungsgangs vom achtjährigen zum neunjährigen Bildungsgang bewirkt, dass für Schülerinnen und Schüler, die mit einen Erweiterten Sekundarabschluss I zum 1.8.2017 in die Einführungsphase der gymnasialen Oberstufe aufgenommen werden möchten, im Schuljahr 2017/18 an den allgemein bildenden Gymnasien keine Einführungsphase im 10. Schuljahrgang zur Verfügung steht.

Um diesem Schülerkreis dennoch zu ermöglichen, in der gymnasialen Oberstufe ein allgemein bildendes Gymnasium zu besuchen, werden zurzeit verschiedene Möglichkeiten geprüft, die entweder zu einer Schulzeitdauer von 12 oder 14 Schuljahren führen. Der Eintritt in die Einführungsphase der gymnasialen Oberstufe einer IGS bzw. eines Beruflichen Gymnasiums ermöglicht dieser Schülergruppe auch eine Schulzeitdauer von 13 Schuljahren.

  • In der Qualifikationsphase werden künftig Kurse auf erhöhtem Anforderungsniveau mit fünf Stunden zu unterrichten sein, Kurse auf grundlegendem Anforderungs-niveau mit drei Stunden. So werden die unterschiedlichen Anforderungsniveaus wieder deutlich differenziert.

Die Belegungsverpflichtungen sowie die Anzahl der Klausuren werden maßvoll reduziert.

  • In das Abitur können künftig 32 bis maximal 36 Kurse (bisher einheitlich 36) eingebracht werden. Darüber hinaus wird die Möglichkeit zur Wahl einer Präsentationsprüfung im fünften Abiturprüfungsfach anstelle der mündlichen Prüfung geschaffen.

Alle beabsichtigten Regelungen beachten die KMK-Vereinbarungen; die Qualität des niedersächsischen Abiturs wird durch ein Bündel von Maßnahmen innerhalb Niedersachsens (Abituraustausch zwischen den Schulen, Implementierungs-maßnahmen für neue KC, fachbezogene Netzwerke etc.) sichergestellt, darüber hinaus durch die geltenden nationalen Bildungsstandards, die Beteiligung Niedersachsens am Projekt ländergemeinsamer Abiturprüfungsaufgaben seit 2014 sowie durch die Beteiligung an Aufgabenerstellung und Nutzung des KMK-Abituraufgabenpools ab 2017.

Alle notwendigen Rechtsvorschriften werden zeitgerecht vorliegen. Ich bin mir sicher, dass die Schülerinnen und Schüler in Niedersachsen auch künftig auf einer guten Grundlage lernen können.

Aktuelle Themen und Herausforderungen

Anrede,

lassen Sie mich noch drei Themen ansprechen, die aktuell von Bedeutung sind: die Umsetzung des OVG-Urteils vom 9.6.2015 und die damit zusammenhängenden Fragen der Unterrichtsversorgung, der neue Schulfahrtenerlass und die größte Herausforderung, die Integration der Kinder und Jugendlichen, die als Flüchtlinge in unser Land kommen.

  • Wie Sie wissen, hat das Oberverwaltungsgericht Lüneburg mit Urteil vom 09.06.2015 entschieden, dass die zum 01.08.2014 in Kraft getretene Erhöhung der Regelstundenzahl der Lehrkräfte und der Unterrichts-verpflichtung für Schuleiterinnen und Schulleiter an Gymnasien unwirksam ist. Am 08.07.2015 hat das Urteil durch den Rechtsmittelverzicht des Landes Rechtskraft erlangt. Damit gilt rückwirkend zum 01.08.2014 eine Regelstundenzahl für die Lehrkräfte an Gymnasien von 23,5 Stunden. Als Reaktion auf den Urteilsspruch hat die Niedersächsische Landesregierung schon am 23. Juni 2015 den Entwurf eines Nachtragshaushalts 2015 beschlossen, mit dem sie 740 zusätzliche Planstellen zur Sicherstellung der Unterrichtsversorgung bereitgestellt hat.

Zum Schuljahr 2015/2016 wurden bereits 477 Lehrkräfte zusätzlich eingestellt. Ein weiterer Teil im Umfang von rund 200 Stellen wurde durch Lehrkräfte, die beim Umfang ihrer Teilzeit geblieben sind, sowie durch freiwillige Mehrarbeit von Lehrkräften aufgefangen. Mit diesem Maßnahmenmix ist es gelungen, fast 90 Prozent der zusätzlich und nachträglich ausgeschriebenen Stellen zu besetzen und die hierfür notwendigen Lehrerstunden für die Unterrichts-versorgung fast vollständig auszugleichen.

Allen beteiligten Lehrkräften und Schulleitungen, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Niedersächsischen Landesschulbehörde und im Kultusministerium ist dafür ausdrücklich zu danken.

  • Die Rahmenbedingungen für die Durchführung von Schulfahrten in Niedersachsen werden deutlich verbessert. Kern der am 1. November 2015 in Kraft getretenen neuen Regelungen im überarbeiteten Schulfahrtenerlass sind höhere Erstattungen bei Übernachtungs- und Nebenkosten und Rechtssicherheit bei der Annahme von Freiplätzen.
  • Außerdem gibt es bereits seit Beginn des laufenden Schuljahres mehr Zeitausgleich für Lehrkräfte bei mehrtägigen Schulfahrten. Zudem ist vorgesehen, das Schulbudget, aus dem die Schulen unter anderem die Kosten für Klassenfahrten finanzieren, im nächsten Jahr um rund 3,2 Millionen Euro auf rund 108,6 Mio. Euro anzuheben. Erstmals nach fast zehn Jahren werden damit die Erstattungsbeträge für Lehrkräfte erhöht und an aktuelle Bedingungen angepasst.
  • Das derzeit drängendste Problem, das uns alle in seinen Ausmaßen überrascht hat, ist die Flüchtlingsfrage. Zum Schuljahresbeginn sind viele neue Schülerinnen und Schüler mit Migrations- oder Flüchtlingsgeschichte in unsere niedersächsischen Schulen kommen. Die Flüchtlings-familien, zu denen diese Kinder gehören, haben fast immer schreckliche Dinge hinter sich: Sie sind geflohen, weil Krieg und Terror ihre Heimat zerstört hat. Niedersachsen hat es sich zur Aufgabe gemacht, diese Menschen hier willkommen zu heißen und ihnen eine Perspektive zu geben. Den Schulen kommt hierbei eine Schlüsselrolle zu, vor allem im Bereich der Sprachförderung.

Sprache ist der Schlüssel zu Bildungsteilhabe und Integration. Daher legt das Niedersächsische Kultusministerium seinen Schwerpunkt auf die Sprachförderung, bei Flüchtlingskindern, aber auch bei vielen anderen Kindern mit Förder-bedarf in diesem Bereich. Vor dem Hintergrund der weiterhin steigenden Flüchtlingszahlen und den häufig sehr tragischen Hintergründen und traumatisierenden Fluchterfahrungen bei den Kindern, die aus Kriegs- und Krisengebieten zu uns kommen, ist das eine große Herausforderung und eine anspruchsvolle Aufgabe.

Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die wir hier vor uns haben: Jeder tut, was er kann! Gemeinsam wollen wir es schaffen, den Flüchtlingskindern ein gutes (Lern)Umfeld zu bieten und gleichsam auch den anderen Schülerinnen und Schülern gerecht werden. Dabei wird die Landesregierung die Schulen tatkräftig unterstützen. Eines ist ganz wichtig: Wir fangen in Niedersachsen nicht bei null an. Wir sind im Rahmen des Möglichen qualitativ gut gerüstet. Wir haben viel Erfahrung mit der Beschulung und Integration von Flüchtlingskindern und unsere Schulen haben die bisherigen Herausforderungen sehr gut gemeistert, vor allem in der Sprachförderung. Auf diesen Erfahrungen können wir aufbauen.

Sprachförderung ist bei uns längst Teil des Systems. Unser Schulsystem ist bei den wichtigsten Fragestellungen so angelegt, dass wir in der aktuellen Situation bereits auf ein breites Netz vorhandener Strukturen zurückgreifen können. Diese Strukturen bauen wir auch zu diesem Schuljahr weiter aus und investieren: in den nächsten Jahren sind über 730 Millionen Euro nur für Sprachförderung angesetzt. Alleine für die Aufstockung der Sprachlernklassen nehmen wir uns in diesem Jahr fast 15 Millionen Euro in die Hand.

Wir haben ein gutes Fundament aus vorhandenen und neuen Bausteinen. Dazu zählen u. a. Sprachlernklassen, Förder-kurse Deutsch als Zweitsprache, Förderunterricht in Förder-gruppen, Förderstunden nach Sprachförderkonzept, der Aufbau von bis zu 15 Sprachbildungszentren, der Einsatz pensionierter Lehrkräfte, eine Aufstockung der Fortbildungs-angebote, schulpsychologische Unterstützung, das Deutsche Sprachdiplom und auch das ESF – Programm „Inklusion durch Enkulturation“.

Und wir führen kontinuierlich und in hoher Zahl das Einstellungsgeschäft weiter:

1.600 neue Lehrerstellen zum 1.2.2016 sind bereits online, darunter 400 Einstellungsmöglichkeiten, die vorab für Sprachförderung eingestellt werden können. Dazu beginnen die Auswahlverfahren am 11.11.2015.

Anrede,

ich hoffe, es ist mir gelungen Ihnen deutlich zu machen, dass die niedersächsische Landesregierung die Bedeutung der Gymnasien für den Bildungserfolg und die persönliche Entwicklung unserer Schülerinnen und Schüler, Ihrer Kinder, hoch einschätzt und dies in ihren Maßnahmen spürbar werden lässt. Die Gymnasien sind ein unverzichtbarer Bestandteil unserer Bildungslandschaft, ihre weitere Entwicklung ist uns im Interesse der Schülerinnen und Schüler unseres Landes wichtig.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!