Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,

mit großer Sorge sehen der Verband der Elternräte der Gymnasien und der Philologenverband Niedersachsen, dass die Unterrichtsversorgung an unseren Schulen mehr als problematisch bleiben wird, wenn nicht neue Wege beschritten werden. Auch zum neuen Schuljahr drohen Unterrichtskürzungen und Unterrichtsausfall in großem, den Bildungsauftrag unserer Schulen gefährdenden Umfang. Dazu sollen, entgegen früherer Aussagen, noch erhebliche Abordnungen von den Gymnasien an andere Schulformen kommen.

Die Öffentlichkeit wird über diesen Sachverhalt geradezu systematisch getäuscht, da der Eindruck erweckt wird, als seien die Gymnasien wesentlich besser versorgt als andere Schulformen. Doch das ist unzutreffend. In Wirklichkeit führen Abordnungen zusätzlich zu erheblichen Kürzungen bzw. Einschränkungen des planmäßigen Unterrichts an Gymnasien und damit zu hohen Unterrichtausfällen zum Schaden unserer Schülerinnen und Schüler.
In diesem Zusammenhang möchten wir Sie auf zwei grundsätzliche Ursachen für die verhängnisvolle Fehleinschätzung der realen Unterrichtssituation besonders hinweisen, was Berücksichtigung bei der Bewertung der Unterrichtsversorgung der Gymnasien finden muss:

1. Statistische Unterrichtsversorgung der Schulformen nicht vergleichbar
Die Abordnungen erfolgen aufgrund des Vergleichs der statistischen Unterrichtsversorgung der verschiedenen Schulformen. Doch die Vorgaben zur Berechnung der Unterrichtsversorgung sind zwischen den Schulformen völlig unterschiedlich, was allein die Übersicht des Kultusministeriums „Durchschnittliche Zusammensetzung der Unterrichtsversorgung einzelner Schulformen“ zum Schuljahr 2017/18 zeigt: Das Gymnasium benötigt allein schon zur Erteilung des Pflichtunterrichts eine wesentlich höhere statistische Unterrichtsversorgung als die anderen Schulformen.

Diese Tatsache belegt in aller Deutlichkeit, dass das derzeitige Verfahren, bei dem die Prozentzahlen der statistischen Unterrichtsversorgung der verschiedenen Schulformen zur Grundlage von Personalzuweisungen und Abordnungen gemacht werden, unbrauchbar ist. Denn diesem Verfahren entsprechend müssen zwar „statistisch“, aber „nicht tatsächlich“ besser versorgte Gymnasium an zwar statistisch, aber nicht tatsächlich schlechter versorgte Grundschulen Lehrkräfte abordnen – mit all den unterrichtlichen Folgen für das Gymnasium, wo der Unterricht weiter gekürzt werden muss oder gar ausfällt, während abgeordnete Lehrkräfte vielfach an der Grundschule als Zweit- oder Drittkraft bzw. gar nicht im Pflichtunterricht eingesetzt werden.

2. Gymnasiallehrer mit Tausenden von Überstunden – eine tickende Zeitbombe
Ein weiterer Umstand findet keine Berücksichtigung, worauf wir wiederholt das Kultusministerium schriftlich und mündlich hingewiesen haben: Lehrkräfte an den Gymnasien „schieben“ insgesamt Tausende über ihre Verpflichtung hinaus erteilte Unterrichtsstunden vor sich her: nicht nur eine tickende „arbeitszeitrechtliche Zeitbombe“, sondern auch ein Teufelskreis, der spätestens zum Schuljahr 2020/2021 zu einem dramatischen Einbruch der Unterrichtsversorgung in den Gymnasien führen wird. Trotzdem werden diese Überstunden bei der Berechnung der Unterrichtsversorgung statistisch im Kultusministerium „nach der Methode des Vogels Strauß“ nicht erfasst, obwohl das Ministerium darum weiß. Es nimmt jedoch diesen Berg an Überstunden nicht zur Kenntnis, obwohl er allein schon aufgrund der rechtlichen Vorgaben dringend „abgebaut“ werden müsste.

Der Abbau dieser Überstunden kann jedoch angesichts von Abordnungen heute und in Zukunft nicht mehr erfolgen, da der Unterrichtsbedarf an den Gymnasien wegen der Umstellung auf einen neunjährigen Bildungsgang im Schuljahr 2020/21 im Umfang von zusätzlich über 1000 Lehrerstellen steigen wird – ein für die betroffenen zahlreichen Lehrkräfte unmöglicher Zustand.

Unsere Vorschläge: Neue Wege zur Verbesserung der Unterrichtsversorgung
Wir stellen daher fest: Die bisherigen Versuche, das statistische Fehl der Schulen durch Neueinstellungen und Abordnungen zu beheben, sind gescheitert: Es stehen nicht genügend Lehrkräfte für die Einstellung im Landesdienst bereit, und Abordnungen verschieben nur den Mangel von einer Schulform an die andere, bringen also den Schulen zusätzlich keine einzige Stunde.

Der Verband der Elternräte der Gymnasien und der Philologenverband haben dem Kultusminister in persönlichen Gesprächen bereits mehrfach konkrete Maßnahmen vorgeschlagen mit dem Ziel, durch bessere Ausschöpfung vorhandener personeller Ressourcen mehr Lehrerstunden in die Schulen zu bringen, was auch den erforderlichen qualitativ hochwertigen Unterricht sicherstellen würde. Diese Vorschläge wurden zwar zur Kenntnis genommen, eine Umsetzung ist aber nicht einmal im Ansatz erfolgt. Dabei ist Eile dringend geboten, wenn die Unterrichtsversorgung zum 1.8.2018 verbessert werden und das Verschieben des Mangels von einer Schulform auf die andere endlich aufhören soll.

Angesichts dieser besorgniserregenden Situation und der zu erwartenden weiteren Unterrichtskürzungen und Unterrichtsausfälle appellieren unsere beiden Verbände im Interesse unserer Kinder bzw. unserer Schülerinnen und Schüler gemeinsam an Sie als Abgeordnete des niedersächsischen Landtags, unsere nachstehend aufgeführten Vorschläge zur Verbesserung der Unterrichtsversorgung zu unterstützen. Zugleich könnten u. E. dadurch auch die Abordnungen an andere Schulformen beendet und die notwendige schulpolitische Ruhe wieder hergestellt werden.

Wir sind gerne zu Gesprächen bereit, um Ihnen unsere Vorschläge zu erläutern.

Mit freundlichen Grüßen

 

Unsere Vorschläge zur Verbesserung der Unterrichtsversorgung

1. Freiwillige Erhöhung der Stundenzahl von Teilzeitkräften

Mit dieser Maßnahme ist es vor 10 Jahren an den Gymnasien gelungen, zusätzliche Unterrichtsstunden in nicht unerheblichem Umfang zu bekommen und damit eine drohende katastrophale Unterrichtsversorgung an den Gymnasien zu verhindern. Der Philologenverband hatte damals in seinen Publikationen Teilzeitlehrkräfte eingehend über die bevorstehende problematische Situation informiert und offensiv sowohl bei Schulleitungen als auch bei Lehrkräften um Bereitschaft zur Sicherung der Unterrichtsversorgung geworben. Diesem Appell sind damals viele Teilzeitlehrkräfte an den Gymnasien gefolgt, und auch wenn es dabei für die Einzelperson meist nur um 0,5 oder 1,0 Stunden ging: Die Summe der Stunden war äußerst hilfreich und hatte positive Auswirkungen auf das einzelne Gymnasium, aber auch auf die Unterrichtsversorgung insgesamt.

Doch sogar im neuen Einstellungserlass werden – für uns unverständlicherweise – kurzfristige Teilzeiterhöhungen im 1. Halbjahr 2018/19 auf 30 Einstellungsmöglichkeiten beschränkt, wie das auch schon im 17-Punkte-Aktionsplan des MK zur Lehrkräftegewinnung vom 3.8.2016 geschehen ist.

Wir fragen uns, warum nicht die Möglichkeit genutzt wird, bei Teilzeitbeschäftigten durch freiwillige Erhöhung der Unterrichtsverpflichtung, beispielsweise um eine Unterrichtsstunde, eine Verbesserung der Unterrichtsversorgung an Grundschulen zu erreichen – insbesondere wenn man bedenkt, dass allein im Grundschulbereich etwa 50% der Unterrichtenden und damit ca. 10.000 Lehrkräfte teilzeitbeschäftigt sind. Für eine solche freiwillige Maßnahme müsste aber aktiv und nachdrücklich geworben werden, sowohl vom Kultusministerium, den betroffenen Schulleitungen und den betroffenen Interessenvertretungen – doch das geschieht nicht, so als ob es manchem aus schul- und berufspolitischen Gründen ganz gelegen käme, in bestimmten Schulformen Mangel konstatieren zu können.

2. Freiwilliges Arbeitszeitkonto

Als eine Maßnahme zur Sicherung der Unterrichtsversorgung wurde auf Vorschlag des Philologenverbandes im Juni 2017 die Höchstdauer für die Erteilung zusätzlicher Unterrichtsstunden für das verpflichtende und freiwillige Arbeitszeitkonto zusammen von zunächst 12 Jahre auf 15 Jahre verlängert. Mit Verwunderung müssen wir heute feststellen, dass Anträge von Lehrkräften auf ein freiwilliges Arbeitszeitkonto von Schulleitungen und der Schulbehörde nicht selten grundlos abgelehnt werden und es dann erst der Einschaltung der Schulbezirkspersonalräte oder anwaltlicher Vertretung bedarf, um die Genehmigung des Antrages zu erreichen.

3. Flexibler Ausgleich der Arbeitszeitkonten

Seit dem Schuljahr 2012/2013 werden an allgemeinbildenden Schulen, seit 2013/14 an berufsbildenden Schulen, die auf dem verpflichtenden Arbeitszeitkonto „angesparten“ Stunden, sofern sie nicht ausbezahlt worden sind, durch verringerten Unterrichtseinsatz ausgeglichen. Dies bedeutet, dass derzeit Tausende von Lehrkräften in allen Schulformen zum Ausgleich der angesparten Stunden des Arbeitszeitkontos mit 1 bis 2 Stunden unter ihrer normalen Unterrichtsverpflichtung eingesetzt werden. Es ist unverständlich, dass schon bisher die Vorschläge beider Verbände zur Nutzung dieser vorhandenen Ressourcen zwar interessiert und zustimmend zur Kenntnis genommen wurden, eine Umsetzung jedoch nicht erfolgte. Will man dieses Instrument zur Verbesserung der Unterrichtsversorgung nutzen, dann ist höchste Eile geboten, da sich mit jedem Jahr weniger Lehrkräfte in der Ausgleichsphase ihres Arbeitszeitkontos befinden, im allgemein bildenden Schulwesen letztmalig im Schuljahr 2021/22, im berufsbildenden Schulwesen 2022/23.

3a) Freiwillige Unterbrechung der Ausgleichsphase der Arbeitszeitkonten
Derzeit werden Anträge von Lehrkräften auf Unterbrechung ihrer Ausgleichsphase von den Schulbehörden abschlägig beschieden. Die Schulbehörden verweisen dazu auf § 5 Abs. 3 Nds.ArbZVO-Schule, wonach die zusätzlich erteilten Unterrichtsstunden in einem der Ansparphase entsprechenden Zeitraum ausgeglichen werden – nach Beginn der Ausgleichsphase, so die Schulbehörden, sei eine Unterbrechung nicht möglich.

Die ablehnenden Bescheide der Schulbehörden mögen zwar den derzeitigen rechtlichen Vorgaben entsprechen, sie sind aber nicht im Sinne der erforderlichen Verbesserung der Unterrichtsversorgung. Wir wiederholen daher unseren Vorschlag, eine Unterbrechung der Ausgleichsphase durch ergänzende Regelungen in der Nds.ArbZVO-Schule zu ermöglichen und sicherzustellen.

Aufgrund der aktuellen Situation der Unterrichtsversorgung halten wir es darüber hinaus für dringend erforderlich, einen Anreiz zur Unterbrechung der Ausgleichsphase zu bieten. Wir erinnern dabei an eine ähnliche Situation im Jahre 2008, als zur Sicherung der Unterrichtsversorgung der Beginn der Ausgleichsphase um in der Regel zwei Jahre verschoben wurde und die Lehrkräfte aller Schulformen als Anreiz einen Zuschlag von 10% auf ihre „angesparten“ Stunden erhielten (vgl. § 5 Abs. 3 Satz 2 Nds.ArbZVO-Schule).

Wir sind überzeugt, mit einer entsprechenden Regelung für Lehrkräfte in der Ausgleichsphase könnten derzeit zahlreiche Unterrichtsstunden zur Verbesserung der Unterrichtsversorgung gewonnen werden.

3b) Auszahlung der angesparten Stunden
Für die auf dem Arbeitszeitkonto „angesparten“ Stunden konnte nach Beendigung der Ansparphase auch eine Ausgleichszahlung in Anspruch genommen werden, was in vier gleich hohen Teilbeträgen erfolgte. Für die Lehrkräfte, die dieses nicht in Anspruch genommen haben und die sich derzeit in der Ausgleichsphase befinden, ist eine Auszahlung der restlichen angesparten Stunden gemäß Nds.ArbZVO-Schule nicht mehr möglich.

Im Sinne der Verbesserung der Unterrichtsversorgung ist hier ebenso nicht nachvollziehbar, warum sich Lehrkräfte nicht auch jetzt noch für eine Ausgleichszahlung für die restlichen angesparten Stunden entscheiden können. Die Rechtsvorschriften könnten problemlos entsprechend geändert werden.

Für Teilzeitbeschäftigte ergeben sich aus einer solchen Regelung keine Probleme: Sie erhalten gemäß § 5 Abs. 4 Satz 6 der Arbeitszeitverordnung-Schule eine Ausgleichszahlung in Höhe der anteiligen Besoldung und damit in angemessenem und nachvollziehbarem Umfang, so wie das aufgrund der Rechtsprechung des BVerwG und des EuGH festgelegt ist.

Bei Vollzeitbeschäftigten sieht die Situation allerdings anders aus: Gemäß § 5 Abs. 4 Satz 5 der Arbeitszeitverordnung richtet sich bei ihnen die Höhe der Ausgleichszahlung nach den zu Beginn der Ausgleichsphase geltenden Sätzen der Mehrarbeitsvergütung für Beamte im Schuldienst. Diese Sätze jedoch sind unverhältnismäßig niedrig, so dass der Philologenverband Niedersachsen auch in der Vergangenheit seinen Mitgliedern nicht empfehlen konnte, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen bzw. sie ausdrücklich auf die unangemessen geringen Vergütungssätze hingewiesen hat.

Wenn man also zur Sicherung der Unterrichtsversorgung auch vollbeschäftigte Lehrkräfte in der Ausgleichsphase für eine Ausgleichszahlung gewinnen will, muss man die Sätze der Mehrarbeitsvergütung für Lehrkräfte in den Blick nehmen, die einer sachlichen Prüfung nicht standhalten, wie auch das Kultusministerium im Zusammenhang mit der Bezahlung zu viel geleisteter Unterrichtsstunden aufgrund der rechtswidrigen Erhöhung der Unterrichts-verpflichtung der Gymnasiallehrer 2015 einräumen musste.

4. Mehrarbeitsvergütung für vollzeitbeschäftigte Lehrkräfte

Wie wenig sachgerecht die Höhe der Mehrarbeitsvergütung für vollzeitbeschäftigte Lehrkräfte ist, ist leicht im Vergleich der Mehrarbeitsvergütungssätze für einen Beamten A 13 mit fester 40-Stunden-Woche und einer Gymnasiallehrkraft zu erkennen. Ab 1.6.2018 erhält der Beamte für eine Zeitstunde Mehrarbeit 28,57 Euro, die Gymnasiallehrkraft für eine Unterrichtsstunde 33,13 Euro. Die Unterrichtsstunde beinhaltet aber auch die Vor- und Nachbereitung des Unterrichts, Korrekturen, außerunterrichtliche Tätigkeiten etc. und müsste im Vergleich zu einer Zeitstunde wesentlich höher bezahlt werden. Wenn 23,5 Unterrichtsstunden einer Arbeitszeit von 40 Zeitstunden entsprechen sollen, dann entspricht eine Unterrichtsstunde einer Arbeitszeit von 1,7 Zeitstunden. Daher muss gerechter- und richtigerweise die Mehrarbeitsvergütung des Beamten mit 1,7 multipliziert werden, um auf eine vergleichbare Mehrarbeitsvergütung der Gymnasiallehrkraft zu kommen. Die Unterrichtsstunde müsste daher mit 48,57 Euro vergütet werden – in Wirklichkeit erhält die Gymnasiallehrkraft aber 32 % weniger als sie der aufgewendeten Arbeitszeit entsprechend erhalten müsste. Entsprechendes gilt für die Lehrkräfte anderer Schulformen.

Dieser begründeten Vergleichsberechnung hatte sich auch das Kultusministerium 2015 nicht verschließen können, als für Pensionäre die Auszahlung der im Schuljahr 2014/15 aufgrund der rechtswidrigen Erhöhung der Unterrichtsverpflichtung der Gymnasiallehrkräfte zu viel geleisteten Unterrichtsstunden erforderlich war: Sie wurden nicht mit dem viel zu geringen Mehrarbeitsvergütungssatz abgegolten, sondern – richtigerweise – damals mit 45 Euro pro Unterrichtsstunde vergütet.

Wenn zur Verbesserung der Unterrichtsversorgung vollzeitbeschäftigte Lehrkräfte in der Ausgleichsphase an allen Schulformen gewonnen werden sollen, sich die restlichen Stunden auf dem Arbeitszeitkonto auszahlen zu lassen und sie damit mit einer höheren Anzahl von Unterrichtsstunden eingesetzt werden können, dann müssen diese Stunden angemessen vergütet werden.

Das Erfordernis der angemessenen Vergütung gilt im Übrigen nicht nur für Lehrkräfte in der Ausgleichsphase; gemäß Punkt 1.7 des Einstellungserlasses zum Einstellungstermin 6.8.2018 soll die Schulbehörde zur Sicherung der Unterrichtsversorgung Mehrarbeit gegen Mehrarbeitsvergütung veranlassen können – wenn diese Maßnahme nicht „verpuffen“ oder zu erheblichem Ärger führen soll, setzt auch dies für Lehrkräfte aller Schulformen eine angemessene Höhe der Mehrarbeitsvergütung voraus.